Es war die letzte große Schlacht des Jahres 2024 für mich und was für eine.
Noch im Rausche der Endorphine nehme ich es gleich mal vorneweg, der alte Mann hat wieder einen rausgehauen. Deshalb lasst euch alle drücken und umarmen von mir, ich kann es immer noch nicht fassen. So nun genug gekuschelt, fangen wir an.
Ihr kennt das Spiel, ich hole wieder etwas weiter aus. Wir springen ganz genau ein Jahr zurück, an genau die gleiche Location, nach Hänchen. Ihr merkt schon, ich baue gelegentlich ein paar englische Wörter ein. Ich muss schließlich auch meinem internationalen Publikum gerecht werden und außerdem sieht`s cool aus ;)
So zurück zum Wesentlichen. Im Rausche meines legendären Badwater Finishs bin ich letztes Jahr mit relativ breiter Brust nach Hänchen gereist, um mir auf der Crossstrecke die goldene Gürtelschnalle zu holen.
Ohhh Moment, „The Golden Buckle“ muss es natürlich heißen. Zur kurzen Erklärung, in Hänchen läuft man auf einer 2 Kilometer langen Motocrossstrecke, die 60 Höhenmeter hat, 24 Stunden lang im Kreis. Schafft man in diesen 24 Stunden 81 Runden = 162 KM = 100 Meilen, darf sich derjenige stolzer Besitzer der goldenen Gürtelschnalle nennen. Ja, und wenn ihr regelmäßig meine Berichte lest, wisst ihr bereits, dass ich letztes Jahr kläglich gescheitert bin. Zum einen habe ich die brutal schwere Strecke unterschätzt, zum anderen war mein Kopf nicht bereit. So hatte ich letztes Jahr die Sache bereits nach 32 Runden beendet und mir geschworen, dass ich das nicht noch einmal haben muss. Ja, und dann kam 1,64 Meter pure Entschlossenheit auf mich zu. Meine 17-jährige Tochter machte mir den Vorschlag, dass sie 2024 auf der flachen Strecke in Hänchen, versuchen wird 30 Runden = 60 Kilometer zu schaffen. Aber nur, wenn ich noch einmal auf der Crossstrecke an den Start gehe. Jetzt frage ich euch, welcher Papa kann, da schon NEIN sagen. So schloss ich dieses Mal einen Pakt mit dem Teufel und Familie Sperlich machte sich, am Freitag, den 13., auf den Weg nach Hänchen, um The Golden Buckle nach Taucha zu holen. Ganz so schlimm war der 13. dann doch nicht, mit einer Ausnahme.
Es goss wie aus Eimern und sollte auch nicht so schnell wieder aufhören. Dementsprechend war die Wiedersehensfreude mit dem ganzen Hühnerstall leicht getrübt, um nicht zu sagen, die fiel ins Wasser. Doch Chefgockel Peter versprach hoch und heilig, dass das Gefieder trocken bleiben sollte und er hatte verdammt nochmal Recht damit. Als Familie Sperlich gegen 9:00 Uhr den Hühnerstall betrat, war an Regen nicht mehr zu denken und meine Stimmung hellte sich, so wie der Himmel, noch mehr auf. Spätestens jetzt wurde mir wieder bewusst, dass man einmal im Leben in Hänchen, beim Mad Chicken Run gewesen sein muss.
Auf dem ganzen Areal war Party angesagt. Zelte über Zelte, Autos über Autos, bei manchen brannte bereits der Grill und die Boxen leisteten schon ganze Arbeit. Das Gute bei so einem 24 Stundenlauf, man hat ganz lange was davon. Das bestätigte auch wieder meine These, die da lautete: „Die ganz schnellen Leute sind vielleicht in Berlin am Start, aber die coolen kommen nach Hänchen.“
Jetzt war auch mein Wiedersehen mit der Mad Chicken Family nicht mehr getrübt und ich strahlte über den ganzen Schnabel, wieder hier zu sein. Meiner Tochter sei Dank. Apropos Tochter, die konnte es kaum erwarten, in die Chicken Family aufgenommen zu werden. Deshalb hatte sie sich etwas besonderes einfallen lassen. Ihr verdammt chicker Regenmantel war nur zur Tarnung, um den Regen abzuhalten, den es ja nicht mehr gab. In Wirklichkeit war sie Agent Chick, Mitglied einer geheimen Untergrundorganisation des KGB zur Flügelabwehr, und ihre Mission sollte ganze 11 Stunden und 7 Minuten gehen. Ich dagegen, in meinem farbenfrohen Federgewand, war der Kanarienvogel unter den Hähnen. Oh, ich merke gerade, das Niveau geht steil die Hühnerleiter hinunter. Also volle Federkraft voraus und auf`s Wesentliche konzentrieren, und das war erst einmal der Start, der Punkt 10:00 Uhr mit einem lauten Kikerikieeee erfolgte. Aber selbst das, habe ich nicht einmal hinbekommen, weil ich nur am Quatschen war. Als dann irgendwie alle am Flattern waren, musste ich erst einmal Gockel Larsi fragen, ob wir schon losgelassen wurden.
Nachdem er meine Frage mit JA beantwortet hatte, wusste ich, dass die nächsten 24 Stunden Party angesagt war. Man möge mit mir Nachsicht haben, wenn ich nicht auf jede einzelne Runde eingehe. Das ist sicher auch in eurem Interesse. Sonst würde das Enden, wie beim Schäfchen zählen oder in diesem Fall, beim Hühnchen zählen.
Ich denke mal, spätestens beim 30sten Hühnchen würdet ihr tief und fest……
Nachdem ich die Startschwierigkeiten der ersten Runde überwunden hatte, hob ich endlich ab und nichts hielt mich mehr am Boden. So langsam groovte ich mich ein, die Rundenzeiten pegelten sich zwischen 11:20 und 12:30 Minuten ein. Auch wenn der Goldene Hahn und Vorjahressieger Marco vorneweg folg, ich ließ mich nicht verrückt machen. Der Kanarienvogel hatte einen Plan und von dem wich er nicht ab.
Das primäre Ziel (ihr merkt ich hebe das Niveau ganz kurz an) waren die 81 Runden in 24 Stunden zu schaffen und die 100 Kilometer (nach meiner Uhr) wollte ich in 12 Stunden fertig haben. Und alles sah richtig gut aus, ich flatterte so vor mich hin, nahm gelegentlich etwas Flüssiges zu mir und nach knapp 2 Stunden begann ich mit der Nahrungsaufnahme in fester Form, also Riegel und solches Zeugs. Und dann musste ich feststellen, so wie es bei der letzten großen Schlacht in der Schweiz aufgehört hatte, ging es bei der letzten großen Schlacht in diesem Jahr weiter. Magenprobleme !!! Alles was oben rein ging, wollte nach kurzer Verweildauer unten wieder raus. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen, wie oft ich abbiegen musste.
Ich kann nur hoffen, dass mich keine Nachberechnung des Startgeldes erwartet, bei dem Wasserverbrauch. Es war noch sehr früh im Rennen, und wenn das so weiterging, würde das keine 24 Stunden gut gehen. Also mussten Lösungen her und eine hatte ich schon parat. Ich schwenkte von den ganzen Industriezeugs auf selbstgebackenen Kuchen um, und siehe da, meine Situation besserte sich. Bei der Gelegenheit konnte ich auch immer mal einen Blick auf Agent Chick werfen. Sie sah noch verdammt gut aus und das nicht nur wegen ihres chicken Outfits. Ich könnte jetzt sagen, ganz der Papa.? Ganz so chick sah ich jetzt nicht mehr aus, aber ich hatte die Marathondistanz schon hinter mir gelassen und nach 54 Kilometern konnte ich sogar in Führung flattern. Jetzt nur nicht überheblich werden, alter Gockel. Das war meine Divise für die nächsten Stunden und an die hielt ich mich strikt. Dann kam die Phase, an die ich mich nur noch schwach erinnern kann.
Gleich am Anfang jeder Runde lag der Mount Hänchen vor mir, ein wahres Monster, nach mehr als 10 Stunden. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich nach jeder Runde gefragt, wie ich da hinaufgekommen bin. Ich wusste es nicht mehr. Meine Tochter, oh sorry, Agent Chick natürlich, hatte nach 11 Stunden und 7 Minuten ihre geheime Mission erfolgreich beendet und die
60 Kilometer geschafft. Jetzt wartete die erste fette Belohnung, und das ist wörtlich zu nehmen, auf uns. Ausgeschrieben heißt das Burger King. Meine zwei Mädels machten sich auf den Weg dorthin, um sich und mich mit ordentlich Kalorien zu versorgen. Aber erst nach dem großen Zwischenziel, das habe ich den Beiden noch zu gezwitschert. Ja, und nach
12:04 Stunden hatte ich die 100 Kilometer auf meiner Uhr in der Tasche und die Fressorgie konnte beginnen. Das tat richtig gut und mein Magen war auch wieder mein Freund. Anschließend hieß es Abschied nehmen, denn meine zwei Mädels machten sich auf den Weg ins wohlig warme Hotelbett. Das hatten sich die Beiden aber auch sowas von verdient. Das Agent Chick gnadenlos abgeliefert hatte erwähnte ich bereits, aber das Muttertier stand dem in nichts nach. Sie versorgte und kümmerte sich ganze 12 Stunden um ihre Kleinen, und nun hatte auch sie sich diesen Luxus mehr als verdient. Ich schaltete während dessen auf Einzelkämpfermodus und dann stürzte ich mich hinein in diese kalte, windige und einsame Nacht.
Auch das Partyleben der Hühnerschar schlief langsam ein und um genau Mitternacht schüttelte ich das nächste Ass aus dem Federkleid. Damit die Nacht einigermaßen erträglich und kurzweilig für mich wurde, knallte ich mir Musik in den Schädel.
Aber nicht irgendeine Musik, sonst wäre es kein Doping. Achtung, gleich lasse ich die Katze aus dem Sack. Tata, oder ich sage lieber schalala und düpdüp. Ballermann Mucke vom Feinsten!!! Über Bumsbar und Inselfieber war ich in meinem Element und das machte sich tatsächlich in den Rundenzeiten bemerkbar. Während ich vorher um die 18 Minuten pro Runde unterwegs war, waren jetzt wieder Zeiten von 16 Minuten drin. Dieser kurze Anflug von Glückseligkeit hielt jedoch nur zwei Runden, dann wurde es wieder zäh. Doch wann immer mal wieder ein richtiger Kracher in meine Ohren gelangte, konnte man mich leicht tänzelnd fortbewegen sehen. Zum Glück war es aber dunkel und so viele Hühner waren nicht mehr auf der Strecke. Jetzt kann ich es euch ja sagen. Ich bin schon einige Nächte durchgelaufen, doch diese Nacht in Hänchen war mit Abstand die kürzeste. Plötzlich war es wieder hell und ich war noch immer am Ballermann, äh natürlich in Hänchen. Also musste der kalte Entzug so schnell wie möglich her. Kopfhörer raus und immer weiter der 100 Meilenmarke entgegen.
Doch dann wurde es noch einmal richtig ungemütlich für mich. Während ich mich der 100 Meilenmarke entgegen schleppte, kam plötzlich ein Junggockel an mir vorbei geflattert, als wäre er ein Adler und es dauerte nicht lange da wurde ich sogar überrundet. Was war hier los??? Ich zückte dann doch einmal mein Telefon, um nachzuschauen, wie ich eigentlich im Rennen liege. Ich lag relativ sicher in Führung!!!
Das war die gute Nachricht, doch wer war dieses Phantom, wer war dieser elegant gleitende Adler. Nach zwei weiteren Überrundungen stellte ich ihn zur Rede.
Der elegant gleitende Adler lag die ganze Nacht in seinem Horst und hatte jetzt noch genügend Energie für große Flügelschläge. Also Entwarnung für mich und zurück in den Safety Modus. Ja, und wann ich die 100 Meilenmarke geknackt hatte, weiß ich nicht mehr so richtig. Ich weiß nur, kurz vorher signalisierte ich Chefgockel Peter, er solle schon mal die Gürtelschnalle polieren. Und kurze Zeit später, nachdem ich die 100 Meilen in der Tasche hatte, signalisierte mir Peter das ich den Streckenrekord vor Augen habe. Dazu müsste ich aber noch weitere 4 Runden drehen und ich war jetzt schon ein gerupftes Federvieh. Jetzt kommt die Stelle, wo künstlich Spannung aufgebaut wird ?
Was dann passierte, kann man nicht mit Worten beschreiben, es begann die Metamorphose. Aus dem kleinen bunten Kanarienvogel, mit seinem doch schon in Mitleidenschaft gezogenen Federkleid wurde ganz plötzlich der von allen so gefürchtete Chick Norris. Der Killerhahn unter seinen Artgenossen schlechthin, auf der Jagt nach dem Streckenrekord. Und Chick Norris macht seinem Namen alle Ehre. Er pickte alles weg, was sich ihm in den Weg stellte. Nach knapp 23 Stunden hatte der Killerhahn zugeschlagen und mit 85 Runden einen neuen Streckenrekord aufgestellt. Chick Norris war zufrieden, denn er hatte abgeliefert und so setzte die Rückverwandlung wieder ein. Leicht zitternd vor lauter Kälte und mit einer Träne des Stolzes in den Augen flatterte der kleine Kanarienvogel seinen Liebsten in die Arme.
Und dann betrat Chefgockel Peter noch einmal den Hühnerstall und motivierte den kleinen Kanarienvogel noch eine Runde gemeinsam mit ihm zu fliegen.
Und so flogen die Beiden Seite an Seite noch eine Runde und in völlig neue Sphären
des MCR. Es war dem kleinen Kanarienvogel eine ganz besondere Ehre, diese Runde mit dem Chef fliegen zu dürfen und wenn er einmal groß ist, wird er seinen Enkeln von dieser Reise berichten. So Freunde, ich denke mal, ich habe euch genug gequält. Hier noch ein paar Zahlen.
Nach 23 Stunden, 17 Minuten und 14 Sekunden durfte ich mich tatsächlich Sieger des Mad Chicken Runs nennen und habe mit 86 Runden einen neuen Streckenrekord aufgestellt. Das sind in Summe 172 Kilometer und stolze 5160 Höhenmeter. Laut Garmin habe ich dabei
10870 Kalorien verbrannt. An dieser Stelle wird es mal wieder Zeit ein paar Worte des Dankes loszuwerden. Als erstes möchte ich mich bei meinen zwei Mädels für ihre hervorragende Performance bedanken. Ein weiteres Dankeschön geht raus nach Hänchen, an die vielen freiwilligen Helfer, die sich die kalte Nacht um die Ohren geschlagen haben und ohne die diese Veranstaltung nicht das ist was sie ist, nämlich richtig geil.
Zu guter Letzt ein großes DANKESCHÖN an den Chef persönlich. Was Peter in den letzten 5 Jahren aus dieser Veranstaltung gemacht hat, da bin ich sprachlos und das kommt selten vor. Da können sich manche Veranstalter ein Beispiel daran nehmen und ich weiß, wovon ich rede. Ich habe schon viele Schlachten geschlagen und Hänchen kann es mit jedem aufnehmen. Einfach kann bekanntlich jeder, doch dieses Jahr konnte Peter auch „Krise“ und da trennt sich die Spreu bekanntlich vom Weizen.
Kurzes Beispiel gefällig. Während des Rennens ist doch tatsächlich auf der flachen Strecke ein Baum umgekippt und hat die Stromleitung mitgerissen. Es ist zum Glück niemand zu Schaden gekommen. Doch der Strom musste abgestellt werden und die Zeitnahme hatte nur einen Puffer von 15 Minuten. Der Worst Case für jeden Veranstalter, doch nicht in Hänchen. Krisenmanagement vom Feinsten.
Der letzte DANK geht an alle Hühner und Hähne, die diesem Lauf zu dem gemacht haben, was er jetzt ist. Da gibt es diese bekannte Redewendung eines gewissen Werner Sonntag, der seiner Zeit sagte: „Einmal im Leben musst du nach Biel.“
Ein gewisser Jens Sperlich geht mit der Zeit und sagt: „Einmal im Leben musst du nach Hänchen.“
P.S.: Noch ein kleiner Nachtrag zur Mission Gold. Aus dem Golden Buckle ist ein warer Goldregen geworden. Aber seht es selbst auf dem Foto. Der Wanderpokal,das Goldene Ei,
steht jetzt in Taucha und einer wäre wieder besonders stolz, als ich da oben stand.
Taucha, den 21.09.2024