„Ich habe wieder einmal Bock auf richtige Berge!“ So fingen die Urlaubsplanungen von Familie Sperlich in diesem Jahr an. Es ist ja schon eine Weile her, als es mich für die letzten großen Schlachten in die Berge zog. So wurde dieses Jahr als Erstes der zeitliche Rahmen für den Sommerurlaub abgesteckt und danach wurde geschaut, wo und was es in diesem Zeitraum für größere Läufe gibt. So fiel unsere Entscheidung auf die Schweiz, um es genauer zu sagen nach Graubünden und natürlich geht es noch genauer, Savognin hieß der Ort der Begierde. Dort fand am 29. Juni der Swiss Irontrail statt und mit einer Länge von 105 Kilometern und
6600 Höhenmetern schon ein richtiges Brett. Doch bevor wir uns auf den Weg nach Süden machten, stand 2 Wochen zuvor noch ein letzter langer Trainingslauf auf dem Programm.
Eigentlich hätte dieser einen extra Beitrag verdient, aber ich will an dieser Stelle mal schnell drauf eingehen. Bevor ich wieder 40 Kilometer allein durch die Gegend renne, könnte ich doch beim Himmelswegelauf auf der Marathondistanz starten.
So war meine Überlegung und ja, ihr habt richtig gelesen, ich bin mal wieder einen reinen Straßenmarathon gelaufen. Ich hatte sogar richtig Bock und wollte mal sehen, ob ich mit 50+ unter der 3 Stundenmarke bleiben kann. Die Vorrausetzungen waren an diesem 15. Juni alles andere als vielversprechend. Starkregen, heftiger Gegenwind und eine nicht ganz einfache Strecke forderten mir alles ab. Um es kurz zu machen ich habe alles auf Rot gesetzt und der Plan ist aufgegangen.
In für mich unglaublichen 2:53:15 Stunden habe ich die 42,195 Kilometer abgerissen. Am Ende war es sogar der 3. Platz in der Gesamtwertung. Dementsprechend breit war meine Brust, als wir uns am 22. Juni auf den Weg in die Schweiz machten.
Wobei ich gleich wieder betonen muss, Schnelligkeit und Berge sind komplett was anderes.
Ja, und dann war noch die Wetterprognose für diese eine Woche.
Dauerregen ohne Ende war angesagt und als ich die Bilder aus Zermatt sah, hatte ich keinen Bock überhaupt loszufahren. So hatte der erste Tag auch nicht viel mit Sommerurlaub zu tun. 10 Grad, regnerisch und ab einer Höhe von 2100 Metern hatte es geschneit.
Aber dann passierte ein Wunder, entgegen allen Wetterprognosen wurden das Wetter immer besser und ich war richtig heiß, endlich losgelassen zu werden. So habe ich die Woche genutzt, um noch einmal ordentlich Höhenmeter zu sammeln. Das finde ich immer richtig geil,
wenn man in den Bergen wohnt. Denn vor dem Frühstück waren schon 1000 Höhenmeter in der Tasche. Natürlich war das auch ein Ritt auf der Rasierklinge, denn der Muskelkater in den Oberschenkeln machte auch vor mir nicht Halt. Doch ich war guter Dinge, denn die kurzfristige Streckenänderung, auf Grund extremer Schneemassen oberhalb von 2600 Metern, spielte mir in die Karten. Die Streckenlänge änderte sich nur geringfügig und bei den Höhenmetern waren es am Ende auch nur 500 weniger, dafür waren die ersten 20 Kilometer relativ flach. Was mir vom Papier her entgegen kam, entpuppte sich als gewaltiger Denkfehler. So verteilten sich die restlichen 5600 Höhenmeter auf 85 Kilometer. Was am Ende so viel heißt, flache Abschnitte gibt es nicht.
Entweder geht es bergauf oder es geht bergab, so einfach ist das. Bevor wir jetzt gemeinsam zur Startlinie schreiten, will ich noch kurz unser Hotel erwähnen, was sich ganz dem Trailrunning verschrieben hat. Was für ein Hammer Hotel, da waren die paar Euro mehr die perfekte Investition. Ab 3:30 Uhr gab es für alle Teilnehmer schon Frühstück und ACHTUNG jetzt kommt es, zur Hoteltür raus und nach 150 Metern stand ich an der Startline. Und da wir uns jetzt schon gemeinsam an der Startline befinden zählen wir auch gleich den Countdown 10, 9, 8 …. 3, 2 und um genau 5:00 Uhr hatte die Schlacht begonnen. Wie ich schon erwähnte, die ersten 20 Kilometer waren mit rund 500 Höhenmetern relativ flach und ich machte gleich ordentlich Tempo. Ich weiß nicht, ob es am Tempo oder an der hohen Luftfeuchtigkeit lag, jedenfalls schwitzte ich schon wie ein Schwein und dabei war die Sonne noch nicht einmal aufgegangen. Jedenfalls wusste ich, dass ich ziemlich weit vorn im Feld lag und dann folgte das gleiche Spiel wie immer, in den Bergen. Der erste lange Downhill nach Tiefencastell und einer nach dem anderen zog an mir vorbei. Das hat mich natürlich verdammt gewurmt und so beschloss ich, mal an einer Gruppe dranzubleiben. Ich glaube ganze 5 Minuten ist das gut gegangen und dann lag ich der Länge lang. Nachdem ich im wahrsten Sinne geerdet wurde, ließ ich die ganze Sache etwas langsamer angehen.
Aber das hatte auch was Gutes, denn so lernte ich einen verdammt schnellen Läufer namens Michael kennen. Micha, der ursprünglich aus Thüringen stammt und seit 20 Jahren in der Schweiz lebt, sprach mich auf Grund meines Basecaps an, ob ich den Badwater gelaufen bin, und zack hat er mich gehabt. Die nächsten rund 2 Stunden waren recht kurzweilig.
Nach 15 Kilometern war die erste Verpflegungsstation in Surava fällig. Hier musste ich Micha erst einmal ziehen lassen. Die aufgenommene Nahrung hatte nur eine kurze Verweildauer in meinem Körper und ich musste mich das erste Mal in die Büsche schlagen. Danach lief es erst einmal wieder und bei KM 20 war ich an wieder Micha dran und jetzt wartete ein richtiger Monsteranstieg auf mich.
Vor mir lag der Pass digls Orgels, mit 2699 Metern auch der höchste Punkt der Strecke.
Auf einer Länge von 10 Kilometern galt es rund 1730 Höhenmeter am Stück zu bewältigen.
Am Anfang war die Steigung noch einigermaßen laufbar, doch dann wurde es immer steiler, aber nicht steil genug, um ordentlich Höhenmeter zu machen. Nach der Verpflegungsstation Ela Hütte wurde es aber richtig steil und ich musste Micha erneut ziehen lassen. Aber nicht nur das, auch hier hatte die Nahrung wieder eine kurze Verweildauer in meinem Körper und so langsam machte ich mir Gedanken, was heute mit dem alten Kadaver los war, denn auch die Höhe machte mir scheinbar Probleme. Damit kam ich sonst immer gut zurecht, doch ausgerechnet an diesem Tag machten mir Schwindel, Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit und Übelkeit zu schaffen und dabei war noch nicht einmal ein Drittel des Rennens vorbei. So sehr mein Kreislauf auch verrücktspielte, ich musste mich jetzt auf die Strecke konzentrieren. Kurz vor dem Gipfel wurde es abartig steil und in diesem steilen Gelände galt es etliche Schneefelder zu queren.
Ein falscher Schritt oder einmal geträumt und es ging im freiem Fall nach unten.
Als ich es dann endlich geschafft hatte und bereit war für das obligatorische Gipfelfoto, machte der unglaubliche Sturm die Mission Gipfelfoto fast zunichte.
Ich hatte richtig Mühle mein Telefon festzuhalten und durch diesen verdammten Sturm konnte ich den fantastischen Ausblick nur kurz genießen. Bergab wartete gleich wieder die nächste Herausforderung und die hieß riesiges steiles Schneefeld mit Seil zum Festhalten. Nachdem ich den anfänglichen Respekt abgelegt hatte, machte es richtig Spaß in die Tiefe zu rauschen.
Das nächste Highlight der Strecke wartete nach rund 45 Kilometern, Alp Flix. Ein herrliches Hochplateau auf gut 2000 Metern. Hier ließ es sich gut aushalten und sogar auch laufen, denn es ging mal kurz gerade aus. Vorbei an herrlichen Seen und blühenden Wiesen in Richtung Bivio. In Bivio war das Ziel der 55 Kilometer Läufer und hier wollten mich auch meine zwei Mädels begrüßen. Da ich den Abstieg nach Bivio von einer Wanderung schon kannte, wusste ich, dass mein Zeitplan nicht ganz aufgehen würde. Ich hatte meinen Mädels ein Zeitfenster von 7,5 bis maximal 9 Stunden gegeben. Da wollte ich in Bivio sein und stellt euch vor, meine Mädels mussten tatsächlich 10 Minuten länger warten. Das geht ja gar nicht.
Kleiner Spaß ?
Aber trotzdem war ich leicht angefressen, dass hatte aber mit meinem körperlichen Zustand zu tun. Seit 9 Stunden schon verweigerte mein Körper jegliche Kalorienaufnahmen und ich war dementsprechend im A… und hatte noch 47 Kilometer vor mir, auf die ich gar keinen Bock mehr hatte und das bekamen leider meine Mädels zu spüren. Während sie mir einen gebürtigen Empfang bereiteten, war ich nur am Meckern. Aber nicht nur meine Mädels nahmen mich in Empfang, auch Micha wartete hier auf mich. Er war auf der 55 KM Strecke unterwegs und hatte schon seit einer Stunde Feierabend. Aber nicht nur das, er hatte auch den 2. Gesamtrang auf dieser Strecke belegt, ein Teufelskerl.
Ich hingegen hatte noch keinen Feierabend. Ich verabschiedete mich dann doch mit einem Lächeln von meinen Mädels und nahm noch etwas essbares zu mir, obwohl ich genau wusste, ich werde nicht lange Freude dran haben. „Der Rest der Strecke wird dir liegen, Rennsteiglaufcharakter“, so die Worte von Micha. Also breite Forstwege und alles gut lauf bar. Er hatte nur zum Teil recht, bergauf war es breit und lauf bar, aber nicht mehr für mich. Die Steigung war so hässlich, dass es zum Laufen zu steil war und zum Gehen eigentlich zu flach. Und bergab ging es natürlich über schöne steile Singleltrails, so dass keine Zeit zum Ausruhen blieb, andersrum wäre es mir lieber gewesen. Aber genug gejammert, weiter ging es am Stausee entlang über Sures nach Rona, dem vorletzten Verpflegungspunkt. Diesen erreichte ich nach 12 Stunden und 11 Minuten. Ich hatte 75 Kilometer schon geschafft, und hier wurde mir endgültig der Stecker gezogen. Ich nahm mir, optimistisch wie ich nun mal bin, einen Energieriegel zur Stärkung. Doch in dem Augenblick als der Riegel meine Lippen berührte, kam es im Schwall oben wieder raus. Ich konnte froh sein, dass mein Kopf wieder bärenstark war und die Arbeit von Körper und Magen übernahm. Sonst hätte ich mich hier hingesetzt und mir wäre alles egal gewesen. Aber die restlichen 30 Kilometer musste ich nur noch irgendwie hinter mich bringen. Von meinem Ziel, pünktlich zum Anstoß der deutschen Nationalmannschaft wieder in Savgnin zu sein, hatte ich mich schon verabschiedet, aber wenigstens die zweite Halbzeit sollte noch drin sein. So motivierte ich mich immer wieder und setzte mir kleine Zwischenziele, damit mir nicht so langweilig wurde, denn ich war schon seit Stunden allein unterwegs. Nach dem letzten Verpflegungspunkt in Randos hatte ich nur noch 300 Höhenmeter vor mir, doch diese taten verdammt weh, da der Wind wieder extrem aufgefrischt hatte. Danach ging es die letzten 10 Kilometer nur noch bergab und ich versuchte noch einmal alles, um vor Einbruch der Dunkelheit im Ziel zu sein.
Das Ehrgeiz manchmal auch weh tun kann, bekam ich 3 Kilometer vor dem Ziel zu spüren. Aus heiterem Himmel und auf gerader Strecke lag ich plötzlich und ohne Vorwarnung im Dreck. Zum Glück blieb es nur bei Schürfwunden und ich konnte mich weitere Meter dem Ziel entgegen schleppen. Der Zieleinlauf war dieses Mal ganz unspektakulär. Das einzige Highlight waren meine zwei Mädels, die mich im Ziel mit einem Lächeln in Empfang nahmen und trotz der Schmerzen konnte ich dieses Mal zurück lächeln. Und mein Lächeln wurde noch größer, als ich erfuhr, dass ich in der Gesamtwertung den 6. Platz belegt hatte. Und plötzlich tat auch nach 16 Stunden 53 Minuten und 22 Sekunden nichts mehr weh, denn die Ausschüttung der Glückshormone war gewaltig und die zweite Halbzeit der deutschen Nationalmannschaft war auch noch drin.
Taucha, den 31.07.2024