So, da will ich mal wieder einen zum Besten geben. Ich weiß, ich bin verdammt spät dran mit meiner persönlichen Berichterstattung vom diesjährigen Rennsteiglauf.
Dieser fand bereits am 25. Mai statt und ich habe es immer wieder hinausgezögert, davon zu berichten. Da ich mir noch immer nicht sicher bin, ob ich überhaupt die richtigen Worte finde, um das Ganze zu „Papier“ zu bringen, deshalb fange ich einfach mal an. Ich schreibe am besten drauf los und hoffe, dass ich euch am Ende wieder abholen konnte, auch wenn es mich beim Schreiben dieser Zeilen zerreißen sollte.
Die diesjährige Ausgabe war eine ganz besonders persönliche für mich und deshalb möchte ich etwas weiter ausholen. Diejenigen unter euch, die diese Seite schon über Jahre begleiten, werde ich ganz bestimmt nichts Neues sagen, dass der Rennsteig und ich eine ganz besondere Verbindung haben. Hier durfte ich schon bei allen drei Wettbewerben (Halbmarathon, Marathon und Supermarathon) auf den Siegerpodest in der Altersklasse stehen. Bei meiner letzten Teilnahme 2019, im Supermarathon sogar ganz oben. Hier wanderten meine zwei Mädels die 17 Kilometer von Oberhof, nach Schmiedefeld. Hier lief mein Sohn seinen ersten Halbmarathon und dieses Jahr seinen ersten Marathon. Und war meine Family mal nicht sportlich aktiv, warteten sie meistens im Ziel auf mich, wie auch meine Schwiegereltern.
Hier lief ich 2012 meinen ersten Ultramarathon, was zugleich die Geburtsstunde des Schwarzen Ritters war. Den Supermarathon bin ich bis 2019 ganze 4-mal mitgelaufen. 2020 bin ich dann den kompletten Rennsteig (174 Kilometer) ganz für mich allein abgelaufen, in 21 Stunden und 15 Minuten. Und bei diesen langen Sachen, waren zwei Menschen immer an meiner Seite, meine Eltern. Die Originalbesetzung des Mutterschiffs, meine Mannschaft sozusagen.
Doch dieses Jahr war alles anders, die Mannschaft war nicht mehr komplett.
Der Circle of Life machte auch vor meiner Familie nicht halt. Der Captain des Mutterschiffs, mein Vati (im Osten und zu meiner Zeit sagt man das so), ist plötzlich von uns gegangen und hat die Mannschaft verlassen.
Aus diesem Grund habe ich es auch hinausgezögert, ob ich überhaupt mitlaufen sollte. Denn ich wusste genau, was passieren würde, wenn ich diese letzte Kurve nehme und auf die Zielgerade einbiege. Aber ob dieses, nächstes oder in zwei Jahren, was macht das für einen Unterschied, das Ergebnis wäre sicher immer das Gleiche gewesen.
Also entschied ich mich für eine Teilnahme in diesem Jahr und nicht nur das, ich schloss einen Pakt mit mir selbst. Nachdem ich bei meiner letzten Teilnahme 2019 schon einmal ganz oben auf den Siegerpodest (in meiner Altersklasse) stehen durfte, wollte ich das in diesem Jahr unbedingt wiederholen. So wollte ich den Captain des Mutterschiffs noch einmal mit Stolz erfüllen und ihn ein kleines Stückchen näher sein, wenn man ganz oben steht, auf dem Podest.
So stürzte ich mich Freitagnachmittag erst einmal in das Abenteuer Deutsche Bahn.
Ja, ihr habt richtig gehört. Ich wollte mit dem Zug anreisen, nach Eisenach. Doch schon die Fahrt zum Bahnhof stand unter keinen guten Stern. Auf halber Strecke zum Bahnhof bemerkte ich plötzlich, dass ich gar keine Uhr umhatte. Die Frage, ohne Uhr weiterzufahren, stellte ich mir gar nicht. Also Kommando zurück, umdrehen, Uhr holen, anschließend die Geschwindigkeitsbeschränkung außer Acht lassen und hoffen, dass die Deutsche Bahn sich treu bleibt und nicht ganz pünktlich kommt. Jetzt eine kurze Quizfrage am Rande. Was meint ihr pünktlich oder nicht? Achtung, jetzt folgt die Auflösung. Natürlich war die Bahn NICHT pünktlich, aber so habe ich wenigstens meinen Zug geschafft. In Eisenach angekommen, ging es gleich zum Marktplatz, Startunterlagen holen und natürlich Klöße essen. Anschließend direkt zur Unterkunft und schon setzte der Regen ein und hörte auch nicht so schnell wieder auf. Aber für Samstag war zum Glück die Wetterprognose recht vielversprechend, es sollte trocken bleiben, bei Temperaturen zwischen 13 und 20 Grad, also perfekt.
Nach der traditionellen kurzen Nacht machte ich mich gegen 5:30 Uhr auf den Weg Richtung Marktplatz zu Eisenach. Kaum angekommen, hieß es für mich Rucksack abgeben, schon mal positionieren und auf das Rennsteiglied warten. Doch was war hier los? Was ist da passiert? Auf das obligatorische Absingen des Rennsteigliedes konnte ich lange warten. Nur blah, blah, blah und Punkt 6:00 Uhr ging es schon los, ohne Rennsteiglied. Da saß bei mir der Stachel der Enttäuschung natürlich tief, es wurde mit der Tradition gebrochen. Aber ich hatte keine Zeit mich weiter zu ärgern, ich hatte eine Mission zu erfüllen und in der war ich mittendrin. Aber anscheinend war ich der Einzige, der mittendrin war, was man von meiner Uhr nicht sagen konnte. Schon der erste Kilometer wurde mir mit einer Zeit von 2:23 min angezeigt. Ich bin zwar flott unterwegs, aber wenn ich 2:23 Minuten für den Kilometer hinbekommen würde, wäre ich sicher im August bei Olympia am Start. So ging das die ganze Zeit weiter. Da waren Kilometer dabei mit knapp einer Minute und welche mit fast 8 Minuten. Was ich damit sagen will, die Uhr machte, was sie wollte, und brachte mich damit fast aus der Ruhe.
Ich wäre wahrscheinlich besser dran gewesen, hätte ich Freitagnachmittag nicht wieder umgedreht. Aber so war es nun mal und ich musste das Beste draus machen.
Und das Beste wartete schon nach etwas mehr als 3 Kilometern auf mich. Da befand ich mich gerade oberhalb von Eisenach und ich merkte wieder, dass dieser Lauf heute etwas ganz Besonderes für mich sein sollte. Es lag noch unheimlich viel Feuchtigkeit in der Luft, als die Sonne herauskam und diese gab dem Ganzen etwas Mythisches. Im aufsteigenden Nebel wurde es plötzlich ganz still, ich hörte nur meinen Puls leicht hämmern und dachte wieder darüber nach, was mich in der letzten Kurve erwarten würde. So schwer es mir auch fiel, ich musste den Kloß im Hals wieder herunterschlucken und mich auf meine Mission konzentrieren. Diese schien in Gefahr zu geraten, denn irgendwie hatte ich keinen Zugriff zu diesem Rennen. Ich war zwar noch einigermaßen flott unterwegs, aber es fühlte sich alles irgendwie komisch und schwerfällig an. Zum Glück hatte ich nach 10 Kilometern eine Begleitung, die die ganze Sache etwas auflockerte. Man unterhält sich über Läufer Zeugs und macht schon mal eine kurze Hochrechnung, wo man am Ende herauskommt. Doch sobald es bergauf ging, konnte meine Begleitung nicht ganz mithalten und spätestens am Anstieg zum Inselsberg war ich wieder allein unterwegs.
Für diese ersten 25 Kilometer hatte ich 2:15 Stunden gebraucht. Es war zwar nicht das, was ich mir erhofft hatte, aber ich war plötzlich wieder im Rennen drin.
Ich hatte wieder Zugriff und auf einmal fühlte sich auch alles gut an. Sogar meine Uhr war wieder mein Freund und tat, was sie sollte. Es ereilte mich ein leichter Anflug von Euphorie, was sich auch auf meine Kilometerzeiten bemerkbar machte.
Ich wurde immer schneller und musste mich praktisch selbst ausbremsen, um die Mission nicht zu gefährden. Ich wollte unbedingt bis zum Grenzadler in Oberhof, bei Kilometer 54, im Vollbesitz meiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten sein und die restlichen 20 Kilometer wollte ich den Selbstzerstörungsknopf drücken.
So war der Plan, und zur Halbzeit bei der Ebertswiese KM 37 sah es verdammt nach
Mission Possible aus. Die Ebertswiese erreichte ich nach 3:13 Stunden. Hier folgte erst einmal eine ausgiebige Stärkung und dann war ich nur noch auf den Grenzadler fixiert. Diese 17 Kilometer bis Oberhof musste ich irgendwie abreißen. Wie mir das gelungen ist, das weiß ich leider nicht mehr. Zu viele Gedanken und zu viel Kopfkino an die letzte Kurve ließen meinen Kopf nicht mehr klar denken und schmerzfrei war ich ohnehin. 10:41 Uhr Ortszeit war es dann so weit, nach 4:41 Stunden erreichte ich den Grenzadler in Oberhof. Hier verpflegte ich mich auf die Schnelle nach der altbewährten Backenhörnchenmethode, also Backen schön weiten und alles rein, was passt.
Danach ein kurzer Systemcheck, es war alles im grünen Bereich und ich fühlte mich richtig gut, dann folgte die logische Konsequenz, der Selbstzerstörungsknopf wurde aktiviert. Ich weiß bis heute nicht, ob man diese letzten 20 Kilometer, mit einem Alter von 50+, jemals schneller laufen kann. Wie berauscht von meiner Mission rannte ich plötzlich, als gebe es kein Morgen. Vielleicht wollte auch irgend Jemand, dass es an diesem 25. Mai 2024 so endet. Ich werde es wohl nie erfahren. Die nächsten 11 Kilometer, bis zur Schmücke, hatte ich schon eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 4:48 Minuten pro Kilometer und es sollte noch schneller werden. An der Schmücke angekommen bei KM 65 folgte erstmal so ein extra Loop. Ich weiß nicht, wann der eingeführt wurde, jedenfalls kann ich mich nicht mehr daran erinnern, diese extra Schleife jemals gelaufen zu sein. Aber es war mir sowas von egal, ich hatte nur noch die letzte Kurve vor den Augen und schon Tränen in den Augen. Daran waren sicher auch die Wanderer schuld, die mir die restlichen 9 Kilometer Gesellschaft leisteten. Und wie schon bei meinen vorherigen Teilnahmen, gaben sie mir die restliche Motivation. Mit ihrer Unterstützung waren jetzt sogar Kilometerzeiten von 4 Minuten und darunter drin. Doch je näher ich dem Ziel kam, je größer wurde auch der Respekt vor der letzten Kurve.
Ja, und dann waren es nur noch zwei lächerliche und zugleich grausame Kilometer. Ich konnte den Sprecher schon hören, mein Puls hämmerte wie wild, als ich den letzten Downhill in Angriff nahm. Mein Geist koppelte sich langsam von meinem Körper ab.
Ich funktionierte nur noch als ich die Gartenanlage von Schmiedefeld erreichte.
Ich war schon völlig aufgelöst, als ich diese erreichte, denn jetzt waren es nur noch wenige Meter bis zu dieser letzten Kurve vor der Zielgeraden. Wie sonst immer, wollte ich es dieses Mal nicht hinauszögern, ich wollte es nur noch beenden.
Und dann bog ich ein, in diese letzte Kurve. Hier stand er immer und völlig aufgeregt, versuchte er jedes Mal seinen Fotoapparat zu zücken, um noch schnell ein Bild von seinem Sohn zu machen. Und jedes Mal war er zu langsam oder ich zu schnell, mein Vati. Bei dem Gedanken daran, dass dieser Platz jetzt für immer leer bleiben wird, hat es mich total zerrissen. Dieser Platz, in dieser Kurve, wird jetzt zwar für immer leer bleiben, dafür schaut er jetzt von weiter oben zu und hat somit einen viel besseren Blick auf die lange Zielgerade. Und mit einem Gruß nach oben, überquerte ich diese nach genau 6 Stunden, 12 Minuten und 53 Sekunden. Das der Rennsteiglauf für Familie Sperlich etwas ganz Besonderes ist, erwähnte ich bereits eingangs. So haben auch in diesem Jahr alle Familienmitglieder ihren Beitrag geleistet. Meine Frau kümmerte sich um die Logistik und meine Tochter meistere die 17 KM-Wanderung in einem atemberaubenden Tempo. So warteten beide im Ziel auf mich und nahmen einen völlig aufgelösten Selbstzerstörer in Empfang. Als meine Tochter mir dann noch mitteilte, dass ich insgesamt Platz 21 belegt habe und in der AK 50 sogar den 1. Platz, brachen bei mir alle Dämme. Ich hatte mein Versprechen an mich selbst gehalten und durfte beim großen Rennsteiglauf noch einmal ganz oben stehen.
Das „Familienglück“ machte anschließend noch mein Sohn perfekt. Er beendete seinen ersten Marathon in sagenhaften 3:48:24 Stunden und gab mir ein Versprechen,
2025 gemeinsam einen Ultra mit mir laufen zu wollen.
Ich nehme dich beim Wort, mein Sohn ?
Und egal wo und wer von Familie Sperlich in Zukunft an den Start geht, einer wird bestimmt immer zuschauen....
Taucha, den 14.07.2024