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Meine Bildergalerie aktualisiere ich stetig mit neuen Bildern aus meinem Läuferleben.

 

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Leadville Trail 100

Gipfelstürmertour Part 4

oder

Dem Himmel so Nah

 

„Stellt euch vor, ihr rennt den Bosten Marathon mit einer Socke im Mund.

Das Ganze aber gleich zweimal. Anschließend klettert ihr noch auf das Matterhorn hinauf, und dann rennt ihr die ganze Strecke wieder zurück. Das ist der Leadville Trail 100.“

 

                              -aus dem Buch BORN TO RUN von Christopher Mc Dougall-

 

 

Jetzt habe ich endlich einmal die Zeit gefunden, mich diesem unvergesslichen Erlebnis zu widmen, und ich habe lange überlegt,ob ich euch eine Art Kurzform anbieten oder doch lieber ganz weit ausholen soll. Ich habe mich mal für das Zweite entschieden, denn warum sollte es euch besser gehen wie mir. Schließlich habe ich ja auch Stunden in den Rockys zu gebracht. Aber damit wir hier die ganze Sache auch etwas sportlich angehen, versuche ich mal euren Ehrgeiz zu wecken. Sollten Jemanden wider Erwarten beim Lesen dieser Zeilen die Augen zu fallen, der schickt mir einfach ein Beweisfoto und mit Demjenigen gehe ich dann mal ein Bier trinken oder eine lockere 10 Kilometer Runde laufen.

 

 

Im Laufe der letzten Jahre konnte ich schon viele Träume verwirklichen, aber einen schwarzen Fleck auf der sonst so weißen Weste gab es noch. Einmal im Leben wollte ich unbedingt an solch einem legendären 100 Meilen Lauf in den Staaten teilnehmen. Und genau deshalb habe ich mir auch gleich den Schwierigsten mit einer Finisherquote von unter 50 % ausgesucht. Naja, wenn ich ehrlich bin, nicht nur deshalb. Seitdem ich das Buch „BORN TO RUN“ gelesen hatte, war ich praktisch wie paralysiert und wollte irgendwann einmal Teil der Geschichte werden und Teil der Leadville Family. So bewarb ich mich, Ende letzten Jahres, einfach mal um einen der begehrten Startplätze. Als dann Mitte Januar die Mail mit der Überschrift „CONGRATS JENS“ reinkam,

vibrierte mein ganzer Körper, denn ich wusste, der Traum geht weiter.

Doch so einfach war es dann doch nicht. Für mich als Familienmensch einfach mal allein in die Rockys zu fliegen, undenkbar. So bastelte ich noch vorne weg eine 2 wöchige Rundreise dran und das Abenteuer konnte für die ganze Familie am 30.7.2019 beginnen.

Doch irgend Jemand schien etwas dagegen zu haben, und so gestaltete sich unsere Reise nach Denver mehr als schwierig. Über Flugumleitung, Koffer weg und Hotel überbucht, konnten wir zum Glück mit unserer Rundreise noch planmäßig beginnen.

So ging es von Colorado über Utah nach Wyoming. Von dort aus nach South Dakota und wieder zurück nach Colorado. Am 14. August war es dann soweit, wir erreichten Leadvillle.

Was war das für ein Gefühl, den Ort zu betreten, wo Legenden geboren und Träume zerstört werden. So hechteten wir noch schnell zum Ortseingangsschild, um diesen Moment für die Ewigkeit festzuhalten. Doch dieser kurze Sprint hatte es gleich in sich, zumindest für meine Frau. Bei ihr machten sich schon die 3100 Meter Höhe, auf der Leadville liegt, bemerkbar. Ich bekam die ganze Sache wenig später zu spüren, als ich unsere 3 Koffer die kleine Hoteltreppe hinauf getragen hatte. Wie ein Häufchen Elend hockte ich anschließend auf der Bettkante und rang um Luft. Da war ich für den Moment erst einmal wieder geerdet. War der Leadville 100 doch eine Nummer zu groß für mich?

Wie soll ich das bloß anstellen hier 100 Meilen zu laufen? Reichen die 3 Tage noch, um sich an die Höhe zu gewöhnen?

Mr. Ken Chlober

 

 

Ankunft in Leadville

 

Fragen über Fragen kreisten durch meinen Kopf, während mein Puls wie wild hämmerte.

Bei solchen Dingen hilft bei mir meistens, wenn ich eine Nacht darüber schlafe, in der Hoffnung, dass sich die Probleme am nächsten Morgen von selbst gelöst haben.

Doch dieses Mal war das Gegenteil der Fall. Diese staubtrockene Höhenluft, mit nur

2 % Luftfeuchtigkeit, machten einen geruhsamen Schlaf für mich unmöglich.

Also hieß es warten und hoffen, dass der Läufergott wieder einmal auf meiner Seite ist.

Trotz aller widrigen Umstände, ließ ich es mir dann doch nicht nehmen, wenigstens einmal ein kleines Testläufchen zu bestreiten und dieses stimmte mich wieder etwas optimistischer. Und wenn das immer noch nicht reichen sollte, spätestens nach dem Briefing am Freitag Vormittag, war ich bereit Geschichte zu schreiben.

Ein traditionelles Briefing wie ich es kannte, mit Streckenhinweisen, Sicherheit, Pflichtausrüstung und Verhaltensregeln gab es nicht. Dieses hier glich einer Motivationsveranstaltung oder der Wahlkampfveranstaltung des Präsidenten.

Wir wurden sozusagen richtig heiß gemacht und das Schlagwort, was sich in mein Hirn

einbrannte lautete: „DIG DEEPER!“. Also tief graben, in den Abgründen unserer Seele, und im Ziel werden wir vor Stolz weinen, wie ein Baby. Zumindest das Zweite sollte ich nach Sparta doch beherrschen. Und wenn das als Motivation noch immer nicht gereicht haben sollte, dann war es die Begegnung mit Mr. Leadville persönlich. Mr. Ken Chlouber, die lebende Legende, eine Lichtgestalt. Na gut, das war jemand anderes.

Aber es war schon ein besonderer Moment für mich, als er zu mir sprach:

„ I see you on the Finish Linie.“ Kann man da noch widersprechen?

Ich jedenfalls nicht. Ich war bereit! Bereit zu genießen. Bereit den Schmerz zu ertragen. Bereit ganz ganz tief zu graben.

Dann war er endlich da, der Morgen an dem die Leadville Family um ein neues Familienmitglied reicher werden sollte. Es war mit 5 Grad ein sehr kalter Morgen, dieser 17. August 2019, als ich mich gegen 3:30 Uhr im Startbereich der Harrison Ave Ecke 6th Straße einfand. Ungefähr 25 Minuten musste ich zittern, doch dann wurde mir ganz warm ums Herz. Kurz vor dem Start ertönte die amerikanische Nationalhymne.

Für mich als Amerika-Sympathisant, ein unbeschreiblicher Augenblick.

Was ist das nur für eine stolze Nation. So etwas wäre in der Heimat undenkbar, leider.

Aber vielleicht dürfen einmal meine Kinder oder Enkel wieder sagen, das sie stolz sind...

ohne in irgendeine Schublade gesteckt zu werden. Oh, ich merke, ich schweife ab.

Zurück zum Wesentlichen und das war der Startschuss, den Mr. Ken Chlober persönlich

um 4:00 Uhr aus einer Doppelläufigen abfeuerte. Das Abenteuer hatte für mich und weitere 828 Familienmitglieder begonnen.

Das Abenteuer kann beginnen

 

 

Ken & Merilee

 

 

Die asphaltierte Straße führte aus der Stadt hinaus und ging in eine unbefestigte über.

Man hatte viel Platz, die Straße war leicht abschüssig und ich konzentrierte mich auf meine Atmung. Alles lief super, nur der Staub hing wie eine Glocke über der Läuferschar.

Es knirschte zwischen den Zähnen und der erste Schluck aus der Flasche war unvermeidbar. So trottete ich in der Dunkelheit vor mich hin und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Plötzlich traute ich meinen Augen nicht. Bin ich wach oder träume ich?

Ich überholte einen Läufer mit nur einem Unterschenkel, an dem anderen hatte dieser so eine Feder. Ich konnte es nicht fassen, was ich da sah. Ich hatte solchen Respekt vor diesem Mann und dass er es überhaupt versuchte, mit nur einem Unterschenkel einen der schwersten 100 Meilen Läufe überhaupt zu meistern. Dieser Mann hatte sich meinen Respekt mehr als verdient und ich wurde die nächsten Kilometer nicht darüber fertig, was ich da gerade gesehen hatte. Nach 9 Kilometern war es dann auch mit dem lockeren Einlaufen vorbei. Die nächsten 10 Kilometer ging es um den Turquoise Lake und die waren richtig trailig. Über Wurzeln und Steine, das Ganze handtuchbreit und immer schön im Gänsemarsch, denn ein Überholen war so gut wie unmöglich. Das Tempo war nicht gerade flott und so begann ich wieder, mir einpaar Gedanken zu machen. Doch wirklich viel kam nicht dabei raus, denn ich wurde abrupt geerdet. Und das könnt ihr wörtlich nehmen. Auf einmal lag ich mitten im Weg. Außer einpaar Schürfwunden, war zum Glück nichts weiter passiert. Also rappelte ich mich wieder auf und weiter ging es am See entlang, bis sich die ganze Sache wenig später wiederholte. Jetzt war ich etwas genervt, von meiner eigenen Dummheit und versuchte, die Konzentration wieder etwas anzuheben.

Dies gelang mir auch, nur nicht lange und da lag ich wieder. Doch dieses Mal tat es richtig weh. Ich landete voll auf Arm und Schulter und ahnte schon das Schlimmste.

Leicht bewegen ging zum Glück noch, aber das war auch schon alles. Am liebsten hätte ich auf der Stelle losgeheult, so stark waren die Schmerzen. Doch das wollte ich mir dann lieber fürs Ziel aufheben. Und bevor ich in Selbstmitlied zerfloss, musste ich wieder an den Läufer mit nur einem Unterschenkel denken. Also Krone richten und weiter.

Irgendwann hatte ich diese Seerunde endlich überstanden und erreichte im Morgengrauen

May Queen, die erste Verpflegungsstelle. Die Schmerzen waren zwar noch immer da, aber wenigstens wurde es jetzt hell und Tageslicht tut mir ja immer sooo gut.

Denn mit einsetzender Helligkeit hatte ich auch die Bestie in mir im Griff.

So stärkte ich mir erst einmal ordentlich, denn mit dem Sugarloaf Pass wartete gleich der erste richtige Anstieg. Nachdem ich schon einige Höhenmeter noch laufend absolviert hatte, wartete ich schon darauf, dass es endlich steiler wurde. Doch weit gefehlt, es wurde nicht wesentlich steiler. So war diese breite und allmählich steigende Piste, wie gemacht für mich. Während andere schon gingen, konnte ich noch laufen und mich so Schritt für Schritt weiter nach vorne arbeiten. Doch das Beste kommt noch, ich fühlte mich richtig gut.

Abgesehen von den jetzt weniger werdenden Schmerzen im Arm, hätte ich Bäume rausreißen können, denn die gab es trotz der Höhe noch reichlich. Meine negativen Gedanken, vielleicht mit der Höhe nicht klar zu kommen, lösten sich mit jedem Schritt mehr und mehr auf. Sogar meine Beine fühlten sich richtig gut an und ich machte mir berechtigte Hoffnung, hier was mitzunehmen. Nachdem ich den Sugarloaf Pass bezwungen hatte, ging es auf der anderen Seite die sogenannte Powerlinie hinunter. Den Gedanken, diese auf dem Rückweg wieder hinauf laufen zu müssen, verdrängte ich ganz schnell. Mit solchen negativen Gedanken wollte ich mich erst einmal nicht mehr befassen und als ich nach gut 4 Stunden die zweite Verpflegungsstelle Outward Bound nach 23,5 Meilen erreichte, war mir auch klar warum. Hier säumten Menschenmassen diese breite Wiese und alle waren so begeisternd und euphorisch bei der Sache, dass es einfach eine ansteckende Wirkung hatte. Nur gut, dass ich mich wieder einmal im Griff hatte, denn am liebsten wäre ich hier in komplette Extase verfallen, so geil waren die Leute drauf. Die Amis eben, die beherrschen ihr Handwerk. Noch voll im Flow ging es jetzt für mich lange Zeit nur geradeaus, mit ganz minimaler Steigung. Ich befand mich sozusagen auf einem Hochplateau mit riesigen Ausmaßen und umrahmt von teilweise schneebedeckten Viertausendern.

Die Powerlinie abwärts

 

 

In den frühen Morgenstunden

 

Den Mt. Elbert entgegen

 

 

Die Verpflegungsstelle Outward Bound

 

 

Ein herrlicher Anblick sage ich euch. Da machte mir auch die monotone Strecke nicht viel aus. Im Gegenteil, ich konnte die Konzentration mal etwas nach unten fahren und meinen Gedanken wieder freien Lauf lassen. So sah ich mich schon gedanklich im Ziel mit der dicken, fetten Gürtelschnalle, der sogenannten BIG BUCKLE, die es für ein Finish unter 25 Stunden gab. Verdammtes Kopfkino, aber diese Bilder kamen immer und immer wieder. Und ich kann euch sagen, sie gefielen mir. Doch es war ja noch ein verdammt weiter Weg und nach dem recht flachen Teilstück wartete mal wieder ein Aufstieg, der zum Mt. Elbert. Die Temperaturen hatten sich inzwischen bei rund 20 Grad eingependelt und die Sonne strahlte nur so vom wolkenlosen Himmel, also Läuferherz was willst du mehr.

Zu den perfekten äußeren Bedingungen kam nun noch mein ausgezeichneter körperlicher Zustand hinzu. Denn ich fühlte mich bärenstark und der Blick auf die Uhr bestätigte mir das ebenfalls. Ich war viel schneller als ich es wollte, doch das habe ich gerne mal so mitgenommen. Der Nachteil bei der Sache, ich hatte meine Family für 11:00 Uhr zur großen Verpflegungsstelle bei den Twin Lakes bestellt. Als ich dann kurz vor 11:00 Uhr vom Mt. Elbert zu den Twin Lakes hinunter gerauscht kam, war natürlich noch nichts von meiner Family zu sehen. Ich muss zugeben, es war für mich verdammt schwierig, überhaupt jemanden zu sehen. Denn soweit ich schauen konnte, ich sah nur Menschenmassen und von überall her tönte es: „Good job.“ Als ich zur Verpflegungsstelle abbog, kamen auch schon zwei Helfer auf mich zugeströmt und fragten, was sie alles für mich tun können. Der absolute Wahnsinn sage ich euch, schon jetzt hatte sich das ganze Abenteuer gelohnt und mein Flow hielt noch immer an. Ehe ich mich versah, waren meine Flaschen wieder mit Wasser gefüllt, wurde mir mein Drop Bag überreicht und anschießend hatte ich noch die Hände voller Essen. Aber nicht nur irgend etwas, nein genau das, was der feine Herr auch in Auftrag gegeben hatte. Hier ließ es sich aushalten. Am liebsten hätte ich den Massen noch den Moonwalk gegeben, doch das wäre dann wirklich zu fett gewesen. Im Überschwank meiner Glückseligkeit, ließ ich mich dann doch zu einer recht sportlichen Aussage hinreißen. Ich verkündete mit geschwollener Brust, dass ich in 6 Stunden wieder hier sein werde und einer meiner Helferlein hielt mir noch zur Unterstützung seinen tätowierten Arm unter die Nase. Ich sah die drei fetten Buchstaben DNF und diese waren durchgestrichen. Ich sag es ja, die Amis, einfach geile Leute. So machte ich mich wieder auf den Weg, um meinen Worten auch Taten folgen zu lassen. Nur mal so zur Zwischeninfo, damit ihr ein Gefühl dafür bekommt wie dick ich wieder aufgetragen hatte. 6 Stunden hatte der feiner Herr ja verkündet. Dazwischen lagen 40 Kilometer, 2 x der Hope Pass mit jeweils 1000 Metern im Anstieg und mit 3850 Metern der höchste Punkt der Strecke. Ach ja und die zwei Flussquerungen hätte ich fast vergessen.

Wenn ihr jetzt Großklappe sagt, kann ich das voll verstehen. Aber die verdammten Endorphine hatten ein rationales Denken für den Moment unmöglich gemacht.

So nahm ich mir erst einmal die 1. Flussquerung vor und da war ich mal richtig clever.

Aus dem Drop Bag hatte ich mir meine Lunas (Sandalen) in den Rucksack gepackt und diese zur Flussquerung angezogen. Danach wieder Laufschuhe an, damit ich den Hope Pass mit trockenen Füssen bezwingen konnte. Im Nachhinein kann ich euch sagen, diese paar Minuten Zeitverlust hatten sich voll und ganz gelohnt.

Da stand ich nun, den Anstieg vor Augen und die 6 Stunden im Kopf. Selten kam mir ein Anstieg so ewig lang vor. Mein Puls war schon lange nicht mehr unter Kontrolle und ich hechelte wie ein alter Jagdhund oder besser wie ein junger Jagdhund.

Das das mit der Baumgrenze hier anders ist, erwähnte ich bereits. So sah ich eigentlich nur Wald und nicht das Ende dieser schmerzvollen Erfahrung. Irgendwann vernahm ich dann Stimmen, die immer lauter wurden als das Hämmern in meinem Kopf und ich sagte so zu mir: „Lieber Läufergott, lass das bitte die Verpflegungsstelle am Hope Pass sein.“

Der Läufergott erhörte mich auch, es war die Verpflegungsstelle am Hope Pass, aber noch lange nicht der Gipfel. Das mit der Baumgrenze hatte sich inzwischen erledigt und der Blick war frei auf das, was da noch kommen sollte. In weiter Ferne erblickte ich einpaar Punkte, die sich über ein Schneefeld bewegten und genau da musste ich auch hin. Doch soweit wollte ich erst einmal nicht denken, erst wollte ich diese Verpflegungsstelle „genießen“.

Bei den Twin Lakes

 

 

Verpflegungsstelle Half Pipe

 

 

Dem Hope Pass entgegen

 

 

Flussquerung nach den Twin Lakes

 

 

Hier oben und mitten im Nichts eine Verpflegungsstelle. Um das zu bewerkstelligen, wurde schon Tage vorher das ganze Zeug mit Alpakas hier hoch gebracht. Diese waren jetzt immer noch da und stärkten sich ebenfalls. Und auch hier wiederhole ich mich gern, ein herrlicher Anblick. Nicht so herrlich war der Anblick, wo ich noch hin musste. Ich wollte jetzt nicht sagen, Augen zu und durch, denn dafür war ich ja eigentlich hier. Ich wollte alles sehen von dieser herrlichen Landschaft, von diesen geilen Rockys. Ich wollte alles spüren, die Freude, den Schmerz und den spürte ich gerade besonders. So um die 100 Minuten muss ich wohl für diesen Aufstieg geraucht haben, doch jetzt war ich hier oben. Hier oben auf 3850 Metern Höhe, so nah war ich den Himmel noch nie bei einem Lauf und mir lagen die Twin Lakes zu Füssen. Danach ging es abwärts Richtung Winfield zur Halbzeit und zum Wendepunkt des Rennens. Anfangs ging mir der Abstieg noch recht gut von der Hand, oder besser gesagt Beinen. Etwas später machten mir die großen Felsbrocken zu schaffen und schon da musste ich dran denken, dass ich die ganze Strecke bald wieder nach oben muss. Ein schrecklicher Gedanke.

Die letzten Kilometer Richtung Winfield waren zwar wieder flach, aber richtig vorwärts kam ich nicht mehr. Hier am Talende war es jetzt unheimlich heiß geworden und nach 10 Stunden und 40 Minuten hatte ich endlich Winfield erreicht und die Hälfte des Rennens geschafft. Der Gedanke, die ganze Strecke jetzt wieder zurück zu müssen, war schon echt brutal, ganz zu Schweigen von den 6 Stunden bis Twin Lakes. Das konnte ich komplett vergessen, ebenso meinen fitten Körper im ersten Drittel des Rennens. Jetzt war die mentale Stärke gefragt und seit Sparta ist diese bei mir besonders stark ausgeprägt. Nur wenige Kilometer nach dem Wendepunkt bekam diese noch einmal einen ordentlichen Schub. Ihr erinnert euch an den Läufer mit nur einem Unterschenkel, den ich zu Beginn überholt hatte. Genau der kam mir jetzt entgegen, war noch im Rennen und lag nur eine Stunde hinter mir.

An dieser Stelle kurze Zwischenfrage. Schon jemand eingeschlafen? Wenn nicht, dann kann es ja weiter gehen.

Zurück zu diesem unglaublichen Mann und dessen Leistung. Ich weiß nicht so recht, ob ich noch Vorbilder oder ähnliches habe. Ich weiß nur dieser Mann hat mich unheimlich inspiriert. Diese Leistung ist für mich noch immer unvorstellbar und bei dem Gedanken daran, bekomme ich noch immer die berüchtigte Jensehaut. Was alles möglich ist, wenn man es nur wirklich will. Was man alles schaffen kann mit der richtigen Einstellung. Was man alles erleben kann mit der richtigen Freude am Leben. Ich könnte jetzt noch Stunden über diesen Mann schreiben, aber ich glaube er möchte das gar nicht. Für ihn schien es die normalste Sache der Welt zu sein. Man wird wahrscheinlich nie etwas über ihn in den Medien hören. Er wird wahrscheinlich nie irgend etwas Posten, was er doch für ein toller Hecht ist. Aber ich habe ihn gesehen, und ich werde darüber berichten, und ich bin mir sicher, auch er hat das Ziel erreicht.

Beflügelt von diesem Erlebnis, schwebte ich dem Hope Pass ein zweites Mal entgegen.

Soll ich jetzt wieder von irgend welchen Schmerzen anfangen, vergesst es.

Ich hatte ihn ein zweites Mal bezwungen und nun hieß das nächste Zwischenziel wieder Twin Lakes, in der Hoffnung, dass es meine Family geschafft hatte, mal pünktlich zu sein.

Der nicht enden wollende Downhill wurde zum Glück recht kurzweilig, da ich vielen Läufern begegnete, die beim Hope Pass die Cut Off Zeit nicht geschafft hatten und wieder zurück geschickt wurden. Aber wirklich restlos alle schmetterten mir das obligatorische:

„Good job“ entgegen. Die Amis eben.

Ein Blick zurück, zu den Twin Lakes

 

 

Verpflegungsstelle Hope Pass

 

 

Der Hope Pass 3850 Meter über dem Meer

 

 

Der Gipfel ist gleich geschafft

 

 

Wieder an der Flussquerung angekommen, folgte der schon routinemässige Schuhwechsel, Lunas an und durch. Dass der Schuhwechsel noch schneller geht, konnte ich auf der anderen Seite unter Beweis stellen. Gerade als ich mich gemütlich auf die Wiese setzen wollte, fielen hunderte Mücken wie Aasgeier über mich her. Ich glaube, ein Boxenstopp bei der Formel 1 dauert doppelt so lange wie dieser Schuhwechsel. Nach 14:30 Stunden erreichte ich wieder die Twin Lakes und ihr werdet es nicht glauben, ich konnte meine Family tatsächlich in die Arme schließen.

Und nicht nur das, es war auch die obligatorische Traube freundlicher Amis um mich herum und alle wollten helfen. Doch dieses mal musste ich sie leider enttäuschen, jetzt hatte ich VIP Betreuung gebucht. So kümmerten sich meine zwei Mädels um alles und ich nahm mir die Zeit, um zu berichten. Es gab ja schließlich jede Menge zu erzählen.

Als ich mich wieder auf den Weg machen wollte, wartete ja bekanntlich gleich der Aufstieg zum Mt. Elbert. Vorher wagte ich noch einen Blick auf die Uhr und die erste Hochrechnung sagte, dass ich auf jeden Fall das Ziel erreichen werde.

Da war ich mir so was von sicher, aber es könnte sein, dass ich die magische 25 Stunden Grenze knapp verpasse. Wenn das eintreten würde, so war ich mir sicher, wüsste ich nicht ob ich im Ziel vor Freude oder vor Enttäuschung heulen würde. Dass ich wieder einmal zu nah am Wasser gebaut sein würde, war so sicher wie das Ahmen in der Kirche, zu episch war die ganze Sache hier. Also zuerst rauf zum Mt. Elbert, um das für mich so kostbare Tageslicht so effektiv wie möglich zu nutzen. Denn sobald es hier dunkel wird, dauert es maximal eine Stunde und die Temperatur fällt wieder ins Bodenlose. Ich war noch nicht ganz oben und schon musste ich meine Lampe anmachen und die Jacke anziehen.

Aber das war zu dieser Zeit mein kleinstes Übel. Denn genau das, war jetzt mein Problem. Mir war verdammt übel und ich sehnte die Verpflegungsstelle Half Pipe herbei, die sich irgendwo nach dem Mt. Elbert befand. Um genau zu sein, lag diese bei Meile 71 und nach fast 17 Stunden war ich dort. Die Einzelheiten erspare ich euch lieber. Nur so viel, es musste ein Reset durchgeführt werden. Also alles, was noch im Magen war, kam raus und wurde gleich wieder nachgefüllt. Doch das mit dem Nachfüllen war keine gute Idee. Ich bin nicht einmal 500 Meter gekommen und habe schon wieder die Büsche angeschrien. Nun war guter Rat teuer. Noch knapp 30 Meilen zu laufen und kein Benzin mehr im Tank, sogar die Reserve war angezapft. Jetzt musste ich wieder an meinen Helden mit nur einem Unterschenkel denken. So beschloss ich, es erst einmal nur beim Wasser zu belassen und startete eine neue Hochrechnung, denn der Kopf funktionierte zum Glück noch. Ergebis der 2. Hochrechnung: „ Under 25 Hour“ verdammt schwierig, aber machbar.

Da die Dunkelheit jetzt schon fester Bestandteil war, fasste ich einen weiteren Beschluss. Auch wenn dieser, mit etwas Abstand betrachtet, sehr riskant war. Ich wollte mit aller Macht die BIG BUCKEL, koste es was es wolle. Und was ich in der Dunkelheit des ersten Tages noch vermieden hatte, wollte jetzt mit aller Macht hinaus. Die Bestie in mir war erwacht. Und genau diese Bestie wollte, die jetzt kommenden „einfachen“ Kilometer, nur so wegballern. Ich war an diesem Teilstück angelangt, was fast nur geradeaus führte und jetzt auf dem Rückweg sogar Gefälle hatte. Also wollte ich noch einmal satt Kilometer machen. Doch so sehr die Bestie mich auch antrieb, der Tank war einfach leer. Es hatte auch nicht mehr wirklich viel mit laufen zu tun. Es sah eher so aus, als hätte ich zu tief ins Glas geschaut. Ich schwankte über den Asphalt, der vorletzten Verpflegungsstelle entgegen.

Da hinten liegt irgendwo Winfield

 

 

Der Downhill nach dem Hope Pass

 

 

Die Amis eben

 

 

Verpflegung nach 100 Kilometern

 

 

Outward Bound war erreicht und hier ging mitten in der Nacht genau noch so die Post ab, wie vor 14 Stunden. Einfach geil diese Amis. Ich stürzte mich auf das Buffet, als hätte ich schon tagelang nichts Essbares mehr zwischen die Kiemen bekommen. Für einen winzigen Augenblick war die Welt für mich rosafarben. Doch dieser kurze Anflug bedingungsloser Glückseligkeit währte nur einpaar Schritte, danach schrie ich wieder die Büsche an. Es sollte der letzte Versuch gewesen sein, den Tank noch einmal aufzufüllen.

Und mit leeren Tank wartete jetzt der Sugarloaf Pass auf mich und mit ihm die sogenannte Power Linie. Aber die Legende besagt: „Wer den Sugarloaf Pass ein zweites Mal bezwingt, darf sich berechtigte Hoffnung auf ein Finish machen.“

Ich könnte jetzt irgend etwas heldenhaftes schreiben, wie ich das Monster bezwungen habe, aber ich kann es einfach nicht. Die Power Linie muss mir komplett den Stecker

gezogen haben, denn an diese Passage habe ich so gut wie keine Erinnerung mehr.

Erst als ich mit May Queen die letzte Verpflegungsstelle erreichte, ging in meinen Kopf

so langsam das Licht wieder an. Also nutzte ich gleich die Gelegenheit geistiger Frische für eine neue Hochrechnung und dieses Mal sogar in Kilometern.

Und es waren genau 20 Kilometer bis zur Leadville Family und ich hatte noch rund 3 Stunden und 45 Minuten Zeit, um mir meinen Schatz zu holen. Das sollte machbar sein,

das ist auch machbar. Jetzt wurde ich mir immer sicherer, unter der 25 Stunden Grenze zu bleiben. Ich musste nur noch irgendwie diese verdammt schwierigen 10 Kilometer um den See überstehen und nicht wie in den frühen Morgenstunden ein Sturzfestival feiern.

Ich war sogar so mutig und wollte, dass es wieder wie Laufen aussieht, aber selbst die Bestie hat das nicht hinbekommen. So taumelte ich Meter um Meter um den See herum, doch ich fiel nicht. Dann war die breite, nicht asphaltierte Straße erreicht und gefühlt war ich dem Ziel schon soooo nah. Doch zu diesem Zeitpunkt waren die letzten 10 Kilometer so unvorstellbar weit für mich. Außerdem kam in dieser eiskalten Nacht nicht mehr viel Bewegungsenergie von mir. So musste ich noch einmal anhalten, um noch eine weitere Schicht anzuziehen. Oder sollte ich lieber sagen: „Die Zeit war gekommen, um sich für den Zieleinlauf hübsch zu machen.“ Jetzt brauchte ich auch nicht mehr zu rechnen, das Ding war sicher. Ich werde meinen Schatz bekommen. Ich werde mir die begehrte BIG BUCKLE holen. Selbst wenn jetzt noch ein Berglöwe aus dem Gebüsch gesprungen wäre, mit meinen Händen hätte ich ihn sicher nicht mehr erwürgen können. Die waren zu schwach. Ich hätte ihn höchsten mit meinen Tränen ertränken können.

Denn jetzt wurde es wieder richtig heftig für mich. Die lange Zielgerade unter den Füßen,

den Zielbogen schon vor Augen, wurde mir langsam bewusst, was in wenigen Augenblicken passieren würde. So zögerte ich das Unvermeidbare so lange hinaus, wie ich konnte.

Ich schloss die Augen, ließ alles noch einmal Revue passieren. Die monatelange Vorbereitung, die unzähligen Stunden, die ich zu Hause mit Atemmaske durch den Wald gelaufen bin, die Rückschläge, das Aufstehen und das Weitermachen. Die vielen Entbehrungen, das Privileg, hier sein zu dürfen, hier in den Rockys, die vielen Eindrücke während unserer Rundreise, sich quälen bis zur totalen Erschöpfung und natürlich meinen Helden mit nur einem Unterschenkel. Und dann tat ich es einfach, ich machte den letzten Schritt um zu vollenden, was vor genau 24 Stunden, 29 Minuten und 14 Sekunden begonnen hatte.

Ich fiel Merilee um den Hals und ließ erst einmal meinen Gefühlen freien Lauf.

Ich weinte wie ein Baby. Ich konnte es immer noch nicht fassen, was da gerade passiert ist. Ich hatte nicht nur gefinisht, ich hatte mir auch meinen Schatz geholt. Und jetzt frage ich mal in die Runde: Darf man diese extrem protzige Gürtelschalle tragen und präsentieren?

Ich sage euch: Auf jeden Fall. Auf so etwas darf und sollte man zu Recht stolz sein. Und das werde ich auch immer sein, wenn ich mir meinen Schatz anlege.

Auch wenn von den 829 Gestarteten nur 367 das Ziel erreicht haben. Ich finde alle können stolz sein, es überhaupt versucht zu haben. Und da wäre ich wieder bei meinem Helden und bei euch da draußen. Egal, wie aussichtslos es manchmal scheint, egal wie schwierig es manchmal ist, egal wie weh es manchmal tut, Hauptsache ihr tut es. Hauptsache ihr

versucht es wenigstens und denkt daran, es fängt alles mit dem ersten Schritt an, der

ist der schwierigste.

Mein Schatz

So, jetzt habe ich euch genug gequält. Jetzt möchte ich euch danken, dass ihr diese Zeilen gelesen habt. Ich möchte euch danken, fürs Daumendrücken und mitfiebern.

Eigentlich bedanke ich mich nach so einer Saison auch bei meiner Familie.

Doch dieses Mal möchte ich den Spieß umdrehen. Dieses Mal kann sich meine Familie bei mir bedanken. Bedanken, Teil dieses unvergesslichen Erlebnisses gewesen zu sein,

denn auch sie sind jetzt Teil der Leadville Family.

 

Nur wegen der Form: Am Ende war es der 66. Platz in der Gesamtwertung und der

23. Platz in der Altersklasse.

 

Dazu geht es hier weiter:www.athlinks.com/event/33913/results/Event/711340/Course/1658619/Bib/823

 

Mehr zu Lauf, dann hier hin:www.leadvilleraceseries.com

 

 

                                                                                              Taucha, den 03.09.2019

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